Mittlerweile arbeiten alle Grundschulen inklusive, d. h. es gibt einen gleichberechtigten Zugang zur Grundschule für Kinder mit und ohne Behinderungen. Daraus resultiert, dass betroffene Kinder sonderpädagogische Unterstützungsbedarfe haben oder bekommen werden. Zunächst klären wir jedoch die Begrifflichkeit. Wurden früher regionale Inklusionskonzepte (RIK) erstellt, wurde in der Folge der Begriff des sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfes (SUB) eingeführt. Seit geraumer Zeit wird jedoch von einem Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung gesprochen (BasU).
Die Eltern müssen und können entscheiden, ob sie ihr Kind an einer Regelschule anmelden wollen oder nicht. Die Alternative wäre die Anmeldung an einer Förderschule des entsprechenden Förderschwerpunktes.
Folgende Förderschwerpunkte werden/wurden an Förderschulen angeboten:
- emotionale und soziale Entwicklung (ESE)
- geistige Entwicklung (GE)
- körperliche und motorische Entwicklung (KME)
- Hören (HÖ)
- Sehen (SE)
- Lernen (LE) – für GS nicht mehr relevant, da über die sonderpädagogische Grundversorgung abgedeckt
- Sprache (SR) – Bestandsschutz für bestehende Förderschulen, Neugründungen sind nicht möglich
Die genannten Förderschwerpunkte stellen gleichzeitig und sinngemäß den Unterstützungsbedarf eines Kindes im Sinne der Inklusion dar.
Unterstützungsbedarfe
Damit ein Kind inklusiv beschult wird/werden kann, muss ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung festgestellt werden. Das Verfahren hierzu wird von der Schulleitung initiiert.
Dabei wird unterschieden, ob das Verfahren vor oder während des Schulbesuchs eingeleitet wird.
Vor der Einschulung kommt es z. B. bei signifikanten Einschränkungen und erheblichen Behinderungen (ICD-10) in den körperlichen Dispositionen (KME, SE, SR, GE) eines Kindes zur Einleitung.
Beispiele:
- KME, Kinder im Rollstuhl, Missbildungen etc.
- SE, Kinder mit stark eingeschränkter Sehfähigkeit
- SR, Kinder mit organischen und psychischen Einschränkungen der Sprache und der Sprachentwicklung (siehe auch HÖ) wie bei Mutismus, Dysphasie, Aphasie etc.
- HÖ, Kinder mit stark eingeschränkter Hörleistung wie bei AVS, AVWS etc.
- GE, Kinder mit geistigen Entwicklungsverzögerungen oder -störungen, wie Autismus in all seinen Spektren wie dem Asperger-Syndrom und dem frühkindlichen Autismus
- ESE, Kinder mit allen Formen der emotional-sozialen Störungen, Defiziten, Entwicklungsstörungen etc.
- LE, Kinder mit einer verzögerten und/oder eingeschränkten Lernleistung. Lernen wird erst ab oder zur dritten Klasse diagnostiziert und eingeleitet. Das Lern- und Leistungsdefizit muss so groß sein, dass Nachteilsausgleiche nicht mehr greifen können. Beispiel: Das Kind kommt in die dritte Klasse, hat schon einmal wiederholt und hängt trotzdem 1 Jahr zurück.
Diese genannten Beispiele können ein Indiz oder einen Grund für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung eines Bedarfs an sonderpädagogischer Unterstützung (BasU) sein. Es ist jedoch kein Automatismus!
Gegenbeispiele:
- Nur, weil ein Kind im Rollstuhl sitzt, muss es nicht zwingend einen SUB bekommen. Der Rollstuhl kann die Nachteile ausgleichen und muss die erfolgreiche Teilnahme am Unterricht nicht behindern.
- Nur, weil ein Kind eine eingeschränkte Hörleistung besitzt, muss es nicht zwingend einen SUB bekommen. Ein Hörgerät oder eine FM-Anlage können die Nachteile ausgleichen.
- usw.
Nach der Einschulung, also während des Schulbesuchs, kommt zusätzlich noch der Bereich Lernen (LE) dazu. Aufgrund der Struktur dieses Unterstützungsbedarfes und den zu bewältigenden Aufgaben kann die Lernstörung dem Grunde nach erst in der Schulzeit festgestellt werden. Genau dann, wenn die geforderten Aufgaben und Leistungen erlernt, aber nicht erbracht werden können. Und dies ist im Falle des Unterstützungsbedarfes Lernen erst ab der dritten Klasse möglich. Hierzu sind mehrere Förderpläne und schulische Maßnahmen im Vorfeld notwendig, darunter fällt auch die notwendige Wiederholung des Schuljahres.
Abgrenzung
Ist der sonderpädagogische Unterstützungsbedarf immer gleichzusetzen mit einer Behinderung?
NEIN!
Eine Behinderung erfordert eine ärztliche Diagnose nach dem ICD-10 Schema. Wenn die Schule das Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Unterstützungsbedarfes abschließt und zur Entscheidung der niedersächsischen Landesschulbehörde vorlegt, wird nach Prüfung der Vorgangsakte ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung festgestellt (oder auch nicht). Diese Feststellung entspricht keiner ärztlichen Diagnose. Sie ist vielmehr eine pädagogische Entscheidung zur Hilfe und Unterstützung des Kindes.
So kann es sein, dass das Kind im Rollstuhl ohne einen Unterstützungsbedarf (aber mit einem entsprechenden Tisch) die Grundschule absolviert und ein Kind ohne ärztliche Diagnose trotzdem einen Unterstützungsbedarf z. B. Lernen oder emotionale-soziale Entwicklung erhält.
Für immer?
Ein einmal festgestellter Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung kann bei Bedarf verändert oder auch wegfallen und aufgehoben werden. In der Grundschule wird im Laufe der 4. Klasse zwingend ein erneutes Kurzgutachten erstellt, um zu prüfen, ob der Bedarf / die Bedarfe weiterhin bestehen. Somit übernehmen die Grundschulen die Folgeprüfung für die weiterführenden Schulen in Niedersachsen vor.
Ablauf
Die Verfahren werden stets über die Schulleitung eingeleitet und zum Abschluss in einer Verfahrensakte an das entsprechende Regionale Beratungs- und Unterstützungszentrum Inklusive Schule (RZI) übersendet. Das Verfahren verläuft dem Grunde nach wie folgt:
Was dann?
Ich schätze, dass an Grundschulen in 80 % aller eingeleiteten Verfahren ein BasU Lernen beschieden wird. Damit wird das Kind nicht mehr nach den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung beurteilt und erhält auch keine Noten mehr.
Ein essenzieller Aspekt beim Unterstützungsbedarf ist die Frage nach zielgleicher oder zieldifferenter Beschulung. Aber was bedeutet das eigentlich?
Zielgleich:
Die zielgleiche Beschulung bedeutet, dass die Kinder genauso werden wie andere Kinder (ohne SUB) auch. Jeder Test, jedes Referat, jeder Aufsatz etc. wird unter den gleichen Maßstäben und Kriterien benotet. Etwaige Nachteilsausgleiche werden genauso berücksichtigt, beeinflussen jedoch nicht die Notengebung oder ein Abweichen von den Grundsätzen der Leistungsbewertung.
Die zielgleiche Beschulung findet bei den Unterstützungsbedarfen KME, ESE, Hören, Sehen und Sprache Anwendung.
Zieldifferent:
Eine zieldifferente Beschulung entkoppelt das Kind von den Grundsätzen der Leistungsbewertung. Dieses findet nur in den Unterstützungsbedarfen GE (Geistige Entwicklung) und LE (Lernen) statt. Die Kinder erhalten dann keine Noten mehr und auch das Zeugnis wird in Berichtsform erstellt. Dabei liegen der Bewertung die Vorgaben des kompetenzorientierten Unterrichts der Förderschule Lernen oder entsprechend der Förderschule geistige Entwicklung zugrunde. Wichtig ist hierbei zu erkennen, dass die Kinder somit ein Zeugnis der Förderschule erhalten. In der Grundschule mag das bisher nicht so schwerwiegend sein. In der vierten Klasse muss der Unterstützungsbedarf zwangsläufig erneut überprüft und ggf. angepasst oder aufgehoben werden.
Wichtig zu wissen:
Aber in der weiterführenden Schule haben die Unterstützungsbedarfe „Lernen“ und „geistige Entwicklung“ erhebliche Konsequenzen. Wird der Unterstützungsbedarf aufrechterhalten, so gibt es nach Klasse 9 zwangsläufig ein Abschlusszeugnis der Förderschule (Lernen oder geistige Entwicklung), welches auf der Regelschule ausgehändigt wird. Nur mit erneuter Wiederholung der Klasse 9 im Jahrgang der Hauptschule (ohne Unterstützungsbedarf) kann der Hauptschulabschluss erworben werden.
Dies kann und sollte auf jeden Fall probiert werden, denn mit einem Abschlusszeugnis der Förderschule bleibt der Einstieg in den 1. Arbeitsmarkt verwehrt. Oft kann dann nur über die Arbeitsagentur und evtl. den beteiligten Dritten (Lebenshilfe, AWO, Paritätische, DRK etc.) ein Helferberuf bzw. Helfer-Ausbildung aufgenommen werden.