Gestern habe ich auf dem Weg nach Hause im Radio ein Interview mit einer Tierärztin gehört. Diese hat ausgiebig über die Gefahren bei den Vierbeinern während dieser sehr warmen Temperaturen in den vergangenen Tagen gewarnt. Keine Apportieren, kein Nebenherlaufen beim Radfahren, nicht im Auto warten lassen und einiges mehr. Zunächst musste ich schmunzeln, habe ich doch heute Hitzefrei an meiner Schule gegeben. Doch dann wird man nachdenklich!
Hitzefrei kennen wir alle selbst aus unseren Grundschulzeiten. Doch ist es nur mein subjektiver Eindruck oder wird Hitzefrei heutzutage so gut wie gar nicht mehr gegeben? Gibt es Hitzefrei überhaupt noch? Kurz gesagt, ja! In Niedersachsen ist Hitzefrei nach wie vor möglich. Die Entscheidung, ob Hitzefrei gegeben wird, trifft die Schulleitung.
Was sagt das Schulgesetz?
Der Runderlass „Unterrichtsorganisation“ vom 18.01.2021 sieht u. a. Folgendes vor:
4.5 Für einzelne oder alle Klassen von Schulen des Primarbereichs und des Sekundarbereichs I kann durch die Schulleiterin oder den Schulleiter Hitzefrei gegeben werden, wenn der Unterricht durch hohe Temperaturen in den Schulräumen erheblich beeinträchtigt wird und andere Formen der Unterrichtsgestaltung nicht sinnvoll erscheinen.
(Auszug aus dem Runderlass „Unterrichtsorganisation“ vom 18.01.2021)
Arbeitsbedingungen von SchülerInnen?
Nun denke ich wieder an das Radiointerview und ärgere mich, dass es die Gefahren und das Unwohlsein unserer lieben Vierbeiner sogar in das Radio schaffen, die „Arbeitsbedingungen“ von Grundschülern jedoch nicht. Natürlich wurde im Interview auch erwähnt, dass man selbstverständlich auch keine Kinder oder gar Babys für die Zeit des Einkaufes im in der prallen Sonne stehenden Auto warten lassen darf, aber irgendwie ist das doch etwas anderes. Nichts Systemisches oder Erzwungenes.
Wenn wir von Arbeitsbedingungen bei einem Arbeitnehmer (vergleichbare Tätigkeiten, d. h. Bürojob) sprechen, gibt es die Vorstellung, dass diese mit beiden Beinen im Leben stehen, auch ein Büro mit Klimaanlage oder zumindest aktiver Lüftung haben und sich mental wie auch mit Hilfsmitteln gegen zu warme Temperaturen wehren oder sich zumindest zusammenreißen können. Schließlich erhalten sie ja einen Gegenwert für ihre Arbeit. Vielleicht haben sie auch die Möglichkeit, durch Gleitzeitvereinbarungen an so warmen Tagen früher mit der Arbeit zu beginnen, um entsprechend auch früher die Arbeitsstätte wieder verlassen zu können.
Grundschüler haben das in der Regel nicht. Ich kenne nur sehr wenige Schulen, die mit einer Lüftung oder gar einer Klimaanlage ausgestattet sind. Meist lassen sich die Fenster (aus Sicherheitsgründen natürlich) auch nicht weit öffnen. Auch die Bausubstanzen vieler Grundschulen sind energetisch „optimierbar“. Oft heizen sich Schulgebäude so stark auf, dass selbst bei abflachenden Außentemperaturen die Wärme innerhalb des Gebäudes noch ein oder zwei Tage benötigt, um ebenfalls abzukühlen.
Haben Arbeitnehmer die Arbeitsstättenverordnung oder die Arbeitsstättenregel A3.5 so gelten diese nicht für die Schule, denn weder Schüler (noch Lehrer) sind Arbeitnehmer im Sinne dieser Verordnungen.
Pflicht? Recht? Anspruch?
Aber gut, zum Glück gibt es ja ausdrücklich die Möglichkeit, Hitzefrei an der Grundschule wie auch an den weiterführenden Schulen (bis Klasse 10) zu geben. Die Entscheidung trifft dabei die Schulleitung. Es kursieren immer noch Temperaturangaben im Internet herum, die besagen, dass bei dieser Außentemperatur oder jener Raumtemperatur erst Hitzefrei gegeben werden kann oder muss. Hier muss klar für Niedersachsen gesagt werden:
- Es gibt keine Temperatur, ab der erst Hitzefrei gegeben werden darf.
- Es gibt keine Temperatur, ab der Hitzefrei gegeben werden muss.
Die Entscheidung trifft letztlich die Schulleitung nach pflichtgemäßen Ermessen und nach Abwägung der individuellen schulischen Rahmenbedingungen.
Voraussetzungen
Es muss sichergestellt sein, dass die Aufsichtspflicht auch bei Hitzefrei gewährleistet ist. Das heißt, dass die Kinder, die nach vorheriger Information und Erlaubnis der Eltern oder nach regelmäßiger Abfrage bei Hitzefrei nicht nach Hause entlassen werden dürfen, zwingend in der Schule bis zum Ende des aktuellen Stundenplanes betreut und beaufsichtigt werden müssen.
Weiterhin ist sicherzustellen, dass Buskinder auch die Möglichkeit haben, mit dem Bus nach Hause zu kommen. Ist z. B. eine Busfahrt planmäßig erst nach der 5. Stunde vorgesehen, müssen die Kinder entsprechend auch unter Aufsicht in der Schule verbleiben, bis der Bus kommt.
dennoch ein Dilemma!
Die Betreuungszahlen der Grundschulen im Rahmen der Verlässlichkeit (garantierte Betreuungszeit von 5 Zeitstunden) sind mittlerweile im Bereich von 90 % (eigene Schätzung) angelangt. Diese Betreuungszeit ist von den Eltern nicht ohne Grund angemeldet worden. Meist sind die Eltern, oder zumindest ein Elternteil bis mittags berufstätig und benötigt diese Betreuung. Von Alleinerziehenden mal ganz abgesehen. So werden sehr viele Kinder von Hitzefrei und einem früheren möglichen Gang nach Hause gar nicht profitieren können, da sie in der Schule verbleiben müssen. Klar, es gibt dann keine Hausaufgaben und es wird auch keine Schule in DEM Sinne gemacht, aber nach Hause gehen und spielen, sich abkühlen, in den Pool im Garten/ Terrasse oder ins Schwimmbad gehen ist dann auch nicht möglich.
Treiben wir es auf die Spitze: Thema Ganztagsschule – geben diese Schulen überhaupt Hitzefrei? Ist der organisatorische Aufwand kurzfristig zu leisten und/oder steht er im Verhältnis, nur um die letzte AG (nicht gebundene GGS) oder den letzten Unterrichtsblock (gebundene GGS) ausfallen zu lassen? Auch hier werden die Eltern das Ganztagsschulmodell nicht ohne Grund gewählt haben. Hinzukommt, dass die an der Schule tätigen Dozenten/pädagogischen Mitarbeiter dann im Ganztagsbetrieb keine Tätigkeit ausführen können. Müssen sie trotzdem bezahlt werden? Dafür, dass sie unter Umständen nur eine Gruppe von Grundschülern betreuen oder beaufsichtigen?
Was ist mit dem gebuchten Mittagessen an der Ganztagsschule? Das Essen wird bei der Entscheidung zu Hitzefrei schon fertiggestellt sein. Müssen die Kinder jetzt zusätzlich noch auf die Mensazeit warten, um dann nach Hause gehen zu dürfen? Kann das schon fertige und bezahlte Essen abbestellt werden (kostenfrei), damit die Kinder direkt nach Hause können?
Kurz: Ist Hitzefrei spätestens in der Ganztagsgrundschule rechtlich überhaupt noch erlaubt?
Entscheidung der Schulleitung
Es gibt für die Entscheidungsfindung für oder gegen Hitzefrei viele Dinge, die Schulleitungen bedenken müssen – die Menge an Stolpersteinen ist groß und vielfältig. Die strukturellen Entwicklungen der Schulen (der Schulpolitik) sprechen gegen die Entscheidung Hitzefrei zu geben. Zu groß sind die Unwägbarkeiten im Vergleich zum Ertrag (Organisation, Aufsicht, der Stoff muss dennoch später gelehrt werden und mit Hitzefrei wird mir die Zeit genommen).
Kurz:
Hitzefrei bedeutet viel Arbeit und Umorganisationen für die Schulleitung und das Schulsekretariat.
Aber:
„Werde ich selbst wieder die Entscheidung für Hitzefrei treffen, wenn die Temperaturen in den Klassenräumen ein sinnvolles Arbeiten und Lernen unmöglich machen (z. B. wenn die 28 Grad im Raum erreicht/überstiegen wird) und der gefühlte Sauerstoffgehalt gegen null geht? Ganz klar – ja ;-)!“