Die Zahl der Abmeldungen vom Religionsunterricht in Niedersachsen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Etwa 9 % der Kinder an der Grundschule nehmen nicht am Religionsunterricht teil (Quelle: MK Niedersachsen, Stand: Schuljahr 2016/17). Auch ohne eine doch größere Anzahl von Kindern mit nicht christlicher Glaubenszugehörigkeit geht der Trend und der Wunsch zur Abmeldung vom Religionsunterricht. Wirkliche Alternativen gibt es derzeit an den Grundschulen nicht, auch wenn derzeit das Fach „Werte und Normen an der Grundschule“ in die 2. Erprobungsphase geht. 40 niedersächsische Grundschulen sind daran beteiligt.
Dies begründet das niedersächsische Kultusministerium so:
[…]„Wir vernehmen vermehrt den Wunsch von Eltern nach einem Alternativfach für Grundschülerinnen und Grundschüler, die nicht an einem bekenntnisorientierten konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen möchten“, so die Kultusministerin (Anm.: Frauke Heiligenstadt).“
Quelle: MK Niedersachsen, abgerufen am 05.01.2018
Lesen Sie eine Kurzform inkl. Downloads auf der Seite Abmeldung vom Religionsunterricht.
Die rechtliche Lage
Der Religionsunterricht ist ein ordentliches Schulfach, das heißt, es ist in der Stundentafel verbindlich verankert. Dieser „Schulpflicht“ steht das Recht auf aktive und passive Religionsfreiheit gegenüber. Konkret bedeutet das für die Grundschule (nicht betrachtet ist der islamische Religionsunterricht, der für die Grundschule ebenfalls erprobt wird):
- Kinder, die der evangelischen oder katholischen Religionsgemeinschaft angehören, müssen am Religionsunterricht teilnehmen. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der Umstand, dass Kinder mit katholischem Glauben nicht am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen müssen, wenn dieser nicht angeboten wird (katholisch wie auch kooperativ-konfessionell).
- Kinder, die keiner oder zumindest nicht der evangelischen oder katholischen Religionsgemeinschaft angehören, dürfen am evangelischen Religionsunterricht teilnehmen oder haben das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht.
- Kinder, deren Eltern bei der Schulanmeldung eine evangelische oder katholische Religionszugehörigkeit angegeben haben, können nach meiner Rechtsauffassung derzeit nur vom Religionsunterricht abgemeldet werden, wenn gleichzeitig der Austritt aus der entsprechenden Kirche bestätigt wird.
- Vom Religionsunterricht abgemeldete Kinder haben in der Grundschule zurzeit nicht die Möglichkeit, am Unterrichtsfach „Werte und Normen“ teilzunehmen. Dies ist erst ab Klasse 5 möglich, wenn mindestens zwölf Kinder dies an einer Schule in Anspruch nehmen wollen.
Seit dem Schuljahr 2017/18 gibt es nun eine Erprobungsphase des Landes Niedersachsen, bei der an zehn Grundschulen das Unterrichtsfach „Werte und Normen“ probeweise unterrichtet wird. Diese Entscheidung ist sehr zu begrüßen und mehr als notwendig.
Probleme der GS
Wie oben erwähnt, werden in der Grundschule ca. 9 % der Kinder vom Religionsunterricht abgemeldet, Tendenz steigend. Das sind im Schnitt und je nach Größe und Geografie der Schule ca. 2 Kinder pro Klasse. Was aber machen die Kinder nun während der regulären Religionsstunde?
Im Falle einer Randstunde nach Hause gehen oder später zur Schule kommen?
Nein, alle Schulen in Niedersachsen sind verlässlich, d. h. die Kinder haben einen Anspruch auf Betreuung.
Die Kinder zu dieser Zeit in die Parallelklasse schicken?
Nein, die Kinder sollten nicht deswegen vom Unterricht der eigenen Klasse ausgeschlossen oder abgeschoben werden.
Die Kinder auf dem Flur etwas anderes abarbeiten lassen?
Nein, wieder ein unnötiger Ausschluss aus der Klasse. Hinzu kommt das Problem mit der Aufsichtspflicht.
Die Kinder in der Klasse belassen („… Und bitte weghören? …“) und Ihnen für diese Stunde anderes Material zum Bearbeiten geben?
Na ja, etwas widersinnig …
Alle Religionsstunden in einem Unterrichtsband (alle Stunden des einen Faches zur gleichen Zeit) terminieren – oder zumindest jahrgangsweise – und dann alle abgemeldeten Kinder in eine „alternative“ Stunde schicken?
Und da sind wir wieder beim Fach „Werte und Normen“, und bei den Ressourcen. Wo kommt die Lehrkraft bzw. die Ressource für diese „alternative“ Stunde her? Es ist so (noch) nicht vorgesehen! Hier sind die Schulen, sofern sie es so organisieren können, stets kreativ, müssen jedoch an anderer Stelle einsparen.
Beispiel:
Wenn bei einer 3-zügigen Grundschule die Religionsstunden in einem „Band“ liegen, benötigt man für die vier Jahrgänge auch 4 Stunden/Lehrerstunden und entsprechend auch einen Raum. In den meisten Fällen ist das eher selten möglich. Ein Zusatzbedarf an Lehrerstunden kann hier nicht beantragt werden.
Kultusministerium ist gefragt
Und offensichtlich wurde erkannt, dass die oben genannten Umstände sich verschärfen und sich nicht ignorieren lassen. So stellt die offizielle Statistik der letzten 10 Jahre in der Statistikbroschüre ABS 2015/2016 des Landes Niedersachsen folgende Zahlen dar:
Rot: Seit 2006 sinkende Religionszugehörigkeiten
Grün: Seit 2006 sinkende Teilnahmen am ev. und kath. Religionsunterricht
Blau: Seit 2006 steigende Teilnahmen/Nachfragen am Unterrichtsfach „Werte und Normen“ (betrifft nur SEK1)
Nachteile bei Abmeldung?
Durch das Abmelden vom Religionsunterricht haben die Kinder im Prinzip keine Nachteile, wenn man von den oben genannten Unwegsamkeiten absieht. Für das Fach Religion gibt es im Zeugnis für die Jahrgänge 1 und 2 kein Feld, welches für eine Kompetenzbeschreibung vorgesehen ist. Lediglich einen subjektiven Nachteil könnte ich hier konstruieren: In den Jahrgängen 3 und 4 ist das Fach Religion als Fach mit Noten regulär aufgeführt. Im Falle der Abmeldung taucht beim Fach Religion keine Note, sondern der Vermerk „befreit“ auf. Nun sind die Noten im Fach Religion an der Grundschule erfahrungsgemäß eher gut als schlecht. Oder mal Augen zwinkernd gesagt – es ist schon eine Kunst in Religion keine 3 oder besser zu bekommen. ;-)
Gehen wir jedoch von einer üblicherweise guten Religionsnote aus. Durch die fehlende Teilnahme verzichtet man unter Umständen auf eine gute Note, mit der man im Falle des möglichen Sitzenbleibens seinen Notenschnitt hätte verbessern können oder gar eine 5 in einem anderen zweistündigen Schulfach hätte ausgleichen können. Wie gesagt, kann man sehen wie man will.
Zurück zur Ausgangslage
Auf den Religionsunterricht komplett zu verzichten ist eine grundsätzliche Frage, halte ich aber für nicht notwendig. Allerdings bedarf es einer Alternative! Hier muss schnell der Weg für das Unterrichtsfach „Werte und Normen“ an der Grundschule frei gemacht werden. Die vom MK Niedersachsen angeführten notwendigen komplexen Schritte (Einrichtung des Studienganges „Werte und Normen an der GS“ sowie die entsprechenden Fachseminare an den Studienseminaren und Entwicklung eines Kerncurriculums) sehe ich nicht als problematisch an.
Werte und Normen einführen!
Im Zuge der Inklusion wurden den regulären Lehrkräften mehr oder weniger die Aufgaben und die erforderlichen Kompetenzen von Förderschullehrkräften unterstellt oder abverlangt. In allen Grundschulen arbeiten die Lehrkräfte so und so in vielen Fächern fachfremd. Die pädagogische Qualifikation von Quereinsteigern wird auch erst „im laufenden Betrieb“ hergestellt, sodass es unter diesen Umständen auch nicht verwerflich wäre, das Schulfach „Werte und Normen“ einzuführen und die entsprechenden Strukturen nachzuschieben. In diesem Falle ist es auch nur ein Bruchteil von dem, was bei der Inklusion nachgeschoben wird.
Aktueller Stand
Langfristig soll das Fach Werte und Normen aufsteigend ab dem ersten Schuljahrgang als ordentliches Unterrichtsfach für Kinder, die nicht am Religionsunterricht teilnehmen, eingeführt werden. Schon seit dem Schuljahr 2022/23 können einzelne Lerngruppen im Fach Werte und Normen und im Rahmen einer Übergangsphase in allen Jahrgängen eingerichtet werden.
Verwendung des Beitragsbildes:
By User:Rursus (File:Religious syms.png by Manop) [Public domain], via Wikimedia Commons. This work has been released into the public domain by its author, Rursus. This applies worldwide.
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